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Königreich Württemberg 1806

Ein Jahr später wird Wirtemberg zum Königreich gemacht und in "Württemberg" umbenannt. 1807 werden die Oberämter gebildet, und Lützenhardt gehört von da ab zum Oberamt Horb, während die übrigen Gemeinden im oberen Waldachtal dem Oberamt Freudenstadt zugeteilt werden. Lützenhardt bleibt also im Waldachtal nach wie vor ein Sonderfall. Es ist nun zwar nicht mehr der österreichischen Oberherrlichkeit unterworfen, sondern der des Königs von Württemberg, doch seine Einwohner sind bis auf Weiteres immer noch Leibeigene ihres damaligen Lehensherren v. Raßler, der noch 1791 voll Kaiser Leopold mit dem Hof zu Lützenhardt belehnt worden war.

Gemeindliche Selbstverwaltung 1822

1822 wird in Württemberg die gemeindliche Selbstverwaltung neu aufgebaut, so dass von da ab auch "neuwürttembergische" Gemeinden wie Lützenhardt kommunal selbständig werden, ihre Finanzen selbst verwalten dürfen und ihre Bürger an den gemeindlichen Aufgaben beteiligen müssen. Ein Gemeindepfleger ist für die Rechnungsführung der Gemeinde verantwortlich, Beschlußorgan ist von jetzt ab ein Gemeinderat. In den Landgemeinden hat ein auf' Lebenszeit gewählter Schultheiß nebenberuflich die Geschäfte zu führen. Auch die Polizei wird Aufgabe der Gemeinden.

Heiligenbronn

1820 war Lützenhardt, dessen Einwohner fast ausschließlich katholisch sind, nach Heiligenbronn eingepfarrt worden. Heiligenbronn war ursprünglich ein Wallfahrtsort mit einer kleinen Kapelle gewesen, an deren Stelle man 1745 eine Kirche gebaut hatte. Neben der Kirche stand ein Wirtshaus mit einer kleinen Brauerei, das am Sonntag regelmäßig Treffpunkt der tanzlustigen Jugend aus den benachbarten Orten gewesen war, sehr zum Leidwesen der Geistlichkeit. 1820 wurde die dortige Kaplanei in eine Pfarrei umgewandelt

Flurkarte 1821Flurkarte von 1821

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Eine sehr schöne Flugkarte der Gemarkung, des Lehensguts Lützenhardt aus, dem Jahre 1821 gibt uns Aufschluss über die damals bestehenden Gebäude und Wege und über die Einteilung der Flur. Das Dort' bestand aus zwei Häusergruppen. Die eine, wohl ältere, reihte sich beiderseits eines Weges etwa im Zuge der heutigen Maierhofstraße auf. Sie bestand aus 36 ganz verschieden großen Wohngebäuden teils mit, teils ohne Wirtschaftsteil, und einigen freistellenden Schultern oder kleineren Schuppen. Das größte Haus war der alte Maierhof, dessen Sockelgeschoß noch heute an "einem Mauerwerk und der Rundbogentür erkennbar ist. Die andere Häusergruppe war die beiderseits des Postbergs am Hang unterhalb der heutigen Kirche mit 10 Wohngebäuden ebenfalls ganz unterschiedlicher Größe und einigen Nebengebäuden Westlich des Weges entlang der Waldach, der heutigen Hauptstraße stand am Eck zum Wege nach Heiligenbronn ein größeres Haus mit Wohnteil, Stall und Scheuer. Insgesamt waren das 47 Wohnhäuser. Auf dein zu Tumlingen gehörenden Gemarkungsteil "Lützenhardter Mühle" der die Lützenhardter Gemarkung praktisch in zwei Teile trennte, stand nur die Mühle die einer Scheuer. Die Grenzen der damaligen Gemarkung verliefen ostwärts der Waldach ähnlich wie noch in jüngster Zeit. Quer zur Waldach hielt sich die Grenze an den Weg, der damals durchgehend Hörschweiler, Lützenhardt und Heiligenbronn im Zuge der heutigen Waldach- und Friedhofstraße miteinander verband. Im Westen des Dorfes war die Grenze ähnlich wie heute, vom Breitenbachtal ans nordwärts verlief sie jedoch entlang des heutigen Hohlweges bis dorthin, wo heute das Wasserreservoir liegt, und voll dort aus ostwärts bis zur heutigen Kirchbergstraße. Die Äcker westlich davon bis zum Waldrand waren in der Karte bezeichnet als "Tumlinger- Äcker". Die heutigen Cresbacher- Satteläcker waren mit Ausnahme einer rechteckig begrenzten "Reute", d.h. Rodungsflache, damals noch bewaldet, und ebenso das Streitwäldle.

Flurkarte 1881Flurkarte von 1829

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Die erste Württembergische amtliche Flurkarte von Lützenhardt, aufgenommen im Zuge der ersten Landvermessung des Königreichs Württemberg, stammt von 1829. Sie zeigt noch annähernd die gleiche Parzellierung der Fluren wie die Karte von 1821, jedoch eine Anzahl weiterer Häuser im Anschluss all die schon bestehenden Ortsteile. inzwischen waren es insgesamt 64 Wohngebäude geworden, woraus man auf mindestens 70 Haushaltungen schließen könnte und eine Einwohnerzahl von 300 bis 350.

Beide Karten zeigen die gleiche Kleinparzellierung der Gemarkung Lützenhardt, wie sie der Lehensherr v. Raßler wohl seinerzeit hatte durchführen lassen zur Verpachtung an die Einwohner im Jahre 1785. Der Vergleich mit der heutigen Flurkarte lässt erkennen, wie wenig sich die Parzellierung seither geändert hat, abgesehen von einigen Zusammenlegungen von Parzellen.

Bis auf Weiteres standen dem Grundherren der "Ritterlehen" wie Lützenhardt immer noch die grundherrlichen Abgaben, "Gefälle" genannt, zu. Der Große und der Kleine Zehnte sowie der Heuzehnte standen zwar eigentlich dem Staat zu, doch einer der Freiherren v. Raßler hatte diese Gefälle vom Staat käuflich erworben, nachdem er vom König von Württemberg 1830 mit dem Hof belehnt worden war. Erst 1841 kauft der württembergische Staat den Hof und das Dort' mit allen Rechten für 26000 Gulden. Unterpfandprotokolle aus der Zeit von 1816 bis 1833 zeugen immer wieder davon, wie schwer es den Lützenhardter Familien gefallen sein muss, ihren geldlichen Verpflichtungen nachzukommen, so dass Grundstücke, Häuser und sonstige Besitztümer als Unterpfand für geliehenes Geld herhalten müssen.

Eines dieser Unterpfandprotokolle von 1828 ist nur deshalb besonders interessant, weil der Protokollant bei einer Anzahl von Pfandgebern auch deren Berufe mit angeführt hat:

Johannes Zudrell, Bürstenbinder
Matthäus Axt, Zimmermann
Anton Denner, Schuster
Johannes Blum, Bürstenbinder
Josef Wittich, Spengler
Bartholomäus Gsperrle, Scherenschleifer
Karl Denner, Steinhauer
Josef Denner, Bürstenbinder
Johannes Denner, Hirschwirt
Conrad Denner, Haftenmacher
Josef Gsperrle, Zaunenmacher
............. Maier, Maurer
Xaver Wild, Bürstenbinder
Johannes Immer, Sonnenwirt
Adam Blum, Maurer
Johannes Geiger, Keßler
Johannes Kaupp, Sägenfeiler
Jakob Schmitz, Maurer
Josef Bach, Schneider
Jakob Klink, Maurer
Xaver Rupp, Zaunenmacher

Handwerker 1828

Es gab also im Jahre 1828 in Lützenhardt noch verhältnismäßig viele Handwerker, mehr jedenfalls, als man das nach den bisherigen Überlieferungen hätte annehmen sollen. Erst später hat man sich mehr und mehr auf das Bürstenmacherhandwerk und auf den Hausierhandel mit Bürstenwaren spezialisiert.

Pachtland 1835

Um den Lützenhardter Familien einen - wenn auch noch so geringen - Zuerwerb aus landwirtschaftlichen Nutzflächen außerhalb der viel zu kleinen Gemarkung Lützenhardt zu ermöglichen, bewirkt die Zertralleitung des Wohltatigkeitsvereins in Stuttgart im Jahre 1835, dass aus dem Staatswald auf Nachbargemarkungen der Gemeinde Lützenhardt Land käuflich überlassen wird, damit die Gemeinde den ärmsten ihrer Einwohner daraus kleine Parzellen zur landwirtschaftlichen Nutzung verpachten kann, und zwar 27 Morgen vorn Staatswald Sattelacker auf Gemarkung Cresbach lind zwei Morgen auf' Gemarkung Tumlingen, und 1840 noch 6 bis 7 Morgen auf' Gemarkung Hörschweiler. Im März 1853 bittet die Zentralleitung das Oberamt Horb um Bericht, ob diese Ländereien


1. noch immer lediglich den ärmsten oder wenigstens ärmeren Gemeinde
    Angehörigen zur landwirtschaftlichen Benützung überlassen seyen,

2. wie viele Gemeinde-Angehörige daran Theil haben, und wie groß die einzelnen
   Theile seyen,

3. auf' wie lange dieselben verliehen seyen,

4. ob und welchen jährlichen Bestandszins die Nutznießer dafür und all welche
    Casse zu entrichten haben,

5. ob sie die Stücke mit gehörigem Fleiße und zweckmäßig anbauen, und

6. ob ihnen wirklich durch diese Einrichtung eine merkliche Erleichterung zu
    Theil werde."

berichtet Schuhheiß Hiller am 26. März 1853 dem Oberamt Horb:

1. dieselben sind an die meistbietenden verpachtet, jedoch den ärmeren

2. es sind zu 24 Theile ausgegeben und ist jeder Theil 1 Vtl Feld groß,

3. dieselben sind auf 9 Jahre verliehen, von 1850/58,

4. der Erlös des Bestands wird zur Gemeindecasse zahlt und zwar per Theil um 1 f
    bis 2 f 42,

5. dieselben werden mit Fleiß und zweckmäßig erbaut,

6. es dient der Gemeinde zum Nutzen indem diese Theile das einzige
    Nutzbringende

Sattelacker 1835

Von den 27 Morgen im Sattelacker gibt es eine Karte von 1835 mit den eingeschriebenen Namen von 80 Pächtern. Das Flurstück war ans dein Staatswald herausgerodet worden und ist noch heute auf der Flurkarte und im Luftbild als ein dreieckig begrenztes Flurstück zwischen dein Sattelackerwald und der Gemarkungsgrenze gegen Cresbach erkennbar.

Armenpflege

Die oben genannte Zentralleitung des Wohltätigkeitsvereins, gegründet 1817 und später "Zentralleitung für Wohltätigkeit" genannt, hatte eine Mittlerstellung zwischen öffentlichen und freien Kräften der Sozialfürsorge. Sie gewann großen Einfluß über die Wohlfahrtspflege im engeren Sinne hinaus und schuf sich mit Wohlfahrtsvereinen in den Oberamtsbezirken und den Gemeinden wirksame Hilfsorganisationen. Auch in Lützenhardt gab es später einen Wohltätigkeitsverein, und außerdem eine "Ortsarmenbehörde" unter dem Vorsitz des Pfarrers. Diese öffentliche Armenpflege war in Württemberg Sache der Gemeinden und wurde aus dem Ertrag örtlicher Sammlungen gewährt.

Industrieschule 1839

Die Zentralleitung setzte sich auch für die Einführung von sogenannten "Industrieschulen" ein, die eigentlich wohl mehr eine Art von Handarbeitsschulen waren. Sie sollten jungen Menschen die Möglichkeit verschaffen, in den überall neu entstehenden Industriebetrieben als qualifizierte Arbeitskräfte eingestellt zu werden und dadurch aus der wirtschaftlichen Not herauszukommen, die in den ländlichen Räumen nach der Agrarkrise von 1825 immer noch groß war. 1839 wird auch in Lützenhardt eine Industrieschule eröffnet, 1864 gab es in Württemberg 1450 solcher Schulen, in denen Tausenden von Kindern und Heranwachsenden praktische Handfertigkeiten beigebracht wurden, und in denen sie an Pünktlichkeit und Ausdauer gewöhnt wurden.

Neues Schulhaus 1846

Mit der allmählich steigenden Zahl der Schulkinder wird die einklassige Schule in Lützenhardt zu klein. Bis 1840 war die Zahl der schulpflichtigen Kinder schon auf 138 angewachsen, und wächst immer weiter. [)je Gemeinde geht deshalb 1845 daran, an der heutigen Hauptstraße unterhalb des ehemaligen Schafhofes ein neues Schulhaus zu bauen. Da gleichzeitig die Gemeindeverwaltung mehr Platz braucht, werden auch gleich Räume für den Gemeinderat mit vorgesehen. 1846 ist das neue Schul- und Rathaus fertig, ein stolzer Bau mit zwei Schulsälen und zwei Lehrerwohnungen. Gleichzeitig wird die alte Schulglocke zu einer größeren umgegossen und im Dachreiter auf dein Dach des Schulhauses aufgehängt. Sie hat bis 1905 zum Vesperläuten gedient, und mit ihr wurde auch der Amtsbote herbeigerufen, wenn man ihn brauchte. 
 

Hungerjahre


Mit der Zeit werden auch die von der Regierung längst vorbereiteten Gesetze zur Ablösung der Lebensverhältnisse realisiert. Die Bauernbefreiung war schon 1817 mit der Aufhebung des Lehensverbands eingeleitet worden, also der Einziehung der gutsherrlichen Fronlasten sowie der Umwandlung der Erblehen in freie Zinsguter. Doch dieses Edikt von 1817 konnte erst in den Jahren 1848 und 1849 vollzogen werden, weil die Standesherren Beschwerde erhoben und höhere Abrindungssummen gefordert hatten. Danach jedoch war die Abhängigkeit auch der Lützenhardter Bürger von ihrem Standesherrn v. Raßler zu Ende. Sie waren freie Bürger wie die Städter auch. Die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung in den Landgemeinden wird damit allerdings nicht besser. Die Jahre von 1851 bis 1855 sind für die Gemeinden im Waldachtal ausgesprochene Hungerjahre. In Lützenhardt ist die Not so groß, dass 1854 an die Schulkinder und an alte und gebrechliche Bürger Suppe ausgeteilt werden muss, und dass ein Jahr später die Gemeinde unter staatliche Fürsorge und Aufsicht gestellt wird. Die Beschreibung des Oberamts Horb berichtet noch 1865 darüber:"Minderbemittelt, teilweise unbemittelt sind die Einwohner der Orte Börstingen, Felldorf, Ihlingen, Isenburg, Lützenhardt, Mühlen, Salzstetten und Sulzau.

Hauptnahrung der minderbemittelten Klasse sind hauptsächlich Kartoffeln, Habermus, Kraut, Mehlspeisen. Vermögliche genießen ziemlich viel Fleisch» .......

Vermutlich aus diesen Hungerjahren stammt die heute noch lebendige Überlieferung, dass in einzelnen Gemeinden, wie beispielsweise auch in Lützenhardt, regelmäßig Hunde und Katzen geschlachtet und verzehrt worden seien. Dabei wird allerdings vergessen, dass die Menschen damals nicht nur in einzelnen Gemeinden, sondern in sehr vielen Orten der damals stark übervölkerten Realteilungsgebiete Südwestdeutschlands dazu gezwungen waren, wenn sie nicht verhungern wollten.

In dieser Zeit allgemeiner Not muss sich der Gemeinderat immer wieder mit der Unterbringung unversorgter Kinder und alter Leute befassen. So wird beispielsweise am 7. Januar 1853 Johann Georg Rupp als Pfleger bestellt für die 13, 21 und 23 Jahre alten Kinder der E.S., und am 19. Januar wird das 14 Jahre alte Kind von J.R. zu Lasten der Gemeinde in Kost gegeben unter folgenden Bedingungen:

1. Von heute bis zum Austritt ans der Schule ist dem Kostreicher bedungen, demselben
    Waschen und Flicken und ausreichende Kost zu geben,

2. Im Falle einer Krankheit fallen die Kosten des Doktors und der Apotheke auf die
    Gemeinde,

3. Neben der Kost ist demselben ein Bett zu machen,

4. Ist dasselbe fleißig zur Schule anzuhalten."

Können die Kinder noch in den meisten Fällen ohne Schwierigkeiten irgendwo in Pflege gegeben werden, so bleiben hilflose alte Leute meist unversorgt, wenn die Jüngeren als Hausierer auf der Reise sind. Dann muss die Gemeinde versuchen, auch sie irgendwo in Kost zu geben gegen Bezahlung. Aber auch dann gibt es zuweilen Schwierigkeiten, wie folgendes Protokoll der Oberamtsbehörde zeigt:

"Es erscheint Kronenwirt F. und bringt vor, wenn Johannes G., Keßler, 82 Jahre alt, 
 gereinigt sei voll seinen Kleider-Läuse so wolle er denselben in seiner Krankheit, da er
 mit einem kranken Fuß behaftet ist, in Verpflegung nehmen ... ; es wurde 
 nachgesucht, ob er von seinem Ungeziefer gereinigt sei, S. gibt an, dass er vollständig 
 gereinigt sei ......."

Oder es kommen Klagen voll Kostreichern, dass die voll der Gemeindekasse geleisteten Unterhaltsbeiträge nicht ausreichen. Ani 29. Mai 1853 bringt I.W. folgendes vor:

". .... dass er die ihm zugeführte Ehefrau des verstorbenen J.A. unter 5 f Hauszins nicht mehr behalte, da er mit eine Person um 5 f anzunehmen bedungen habe und die A. ihrer Krankheit wegen eine zweite Person braucht und somit verlange er 10 f Entschädigung."

Der Gemeinderat beschließt daraufhin, die A. irgendwo anders unterzubringen, da die
10 f zu zahlen die Gemeinde nicht in der Lage ist. ("f"' war die Bezeichnung für den Gulden, der in Süddeutschland bis 1870 galt und 2/3 Taler oder 1 Mark wert war.)

Oder der Gemeinderat muss die "großen und vielen Steuerrückstände der hiesigen Einwohner" irgendwie beitreiben und beschließt deshalb am 12. Juni 1853, "samtlichen Steuer-Restanten den Heuertrag mit Beschlag zu belegen und ihn so lange nicht verabfolgen zu lassen, bis ein größerer Teil der Schulden gedeckt sein werden. Sollte nach beendigter Heuernte nicht bezahlt sein, so wird das Heu zum Verkauf ausgesetzt. Diejenigen, weiche kein Wiesenstück besitzen, aber sonst ein Stück Feld, so wird vor der Ernte auf den Ertrag der Felder Beschlag gelegt und der Erlös den betreffenden all Steuern abgerechnet. Dieselben werden hier namentlich aufgeführt, vorgeladen und der obige Beschluss mit dem Anfügen eröffnet, dass derjenige, welcher trotz dieser Auflage sein Heu selbst einheimst, sich dagegen auflehnt oder widersetzt, überhaupt der obrigkeitlichen Anordnung keine Folge leistet, weiches als Widersetzlichkeit zu betrachten ist, dieselben einer höheren Behörde zu strenger Strafe übergeben werden".

Zahlreich sind auch die immer und immer wieder vorgetragenen Klagen über allerlei Handel, Beschimpfungen und Beleidigungen, vor allem zwischen Frauen. Vielfach ist Eifersucht der Anlass, oder der Verdacht auf Diebereien. Meistens bleiben sich aber die Partner gegenseitig nichts schuldig, so dass der Gemeinderat dann keine Konsequenzen zu ziehen braucht. Im Grunde ist die bittere Not wohl die Ursache solcher Streitereien.

Heute weiß man, dass in Streßsituationen wie in diesem Fall die zwischenmenschlichen Beziehungen bis zur völligen Ausweglosigkeit gefährdet werden können.

Schultheiß Hiller

Man kann über all diese Dinge und auch über die Lützenhardter jener Tage denken, wie man will, die grenzenlose Tragik, die in diesen Dokumenten aus der Notzeit zum Ausdruck kommt, ist einfach erschütternd, Besonders hervorzuheben ist dabei aber die Besonnenheit und Weisheit des in den Jahren von 1852 bis 1873 amtierenden Schuhheißen Hiller. Seine Entscheidungen und die Beschlüsse, die der Gemeinderat unter seinem Vorsitz fasst, sind bemerkenswert knapp und sachlich und zeugen von hohem Verantwortungsbewusstsein.

Ohne die notwendigen Ordnungsdienste ging es auch damals nicht, so dass sich der Gemeinderat immer wieder darum kümmern muss. Am 3. Juli 1853 wird beispielsweise beschlossen, dass der Schutz und Ortsdiener R.Sch. neben seinen sonstigen Dienstverrichtungen das Ausrufen bei Versteigerungen und das Ausschellen voll Amtssachen umsonst zu besorgen habe. Und auf die Beschwerde von Bürgern darüber, dass "der Totengräber und der Leichenschauer nie zum Bahnaufmachen bei dem großen Schnee erscheinen, obwohl sie um ihre Funktionen bezahlt werden", wird beschlossen, dass "sämtliche angeführten Personen ohne alles weitere sich zum Schneeschaufeln einfinden müssen bei Vermeidung einer Strafe - erstmals mit 6 Stund, zweitmals mit 12 und so bis zur Strafgewalt des Gemeinderats auf 48 Stunden und bei fernerer Nicht-

befolgung aber einem K. Oberamt als Ungehorsame und Widerspenstige zur Bestrafung zu übergeben."

1854 werden die Aufgaben des Amtsboten festgelegt:

1. Als Polizeioffizier bekommt er 20 f jährlich.

2. Als Amtsbote bekommt er 18 f jährlich.

3. Daneben hat er das erforderliche Holz zu Schule und Rathaus zu spalten und
    deren Öfen zu heizen.

4. Will man ihn von einer Einlegung einer Caution dispensieren, dagegen hat er
    2 tüchtige Bürger zu stellen."

Für heutige Maßstäbe etwas weit gehen die amtlichen Funktionen des Polizeidieners, wenn es sich darum handelt, die heranwachsende Jugend zu betreuen:

"Polizeidiener G. dahier, weichem allen Ernstes aufgetragen ist, auf die ledigen jungen Leute welche ein Liebesverhältnis miteinander pflegen, ein genaues Augenmerk zu haben und zu jeder Zeit unverhofft diejenigen Häuser zu betreten, in welchen er vermutet, dass solche Leute beisammen seien, führt heute den ledigen J.D. mit der Anzeige vor, dass er denselben in dem Hause des J.A. bei welchem seine Zuhälterin J.K. wohnt angetroffen habe "

Sparkasse 1857

1857 versuchen Schultheiß Hiller und Pfarrer Neubrand, in Lützenhardt eine Sparkasse ins Leben zu rufen. Sie haben dazu eine ganz auf die besonderen Bedürfnisse und Notwendigkeiten der Lützenhardter abgestimmte Satzung ausgearbeitet. Diese wird dem königlichen Oberamt in Horb im Namen des Wohltätigkeitsvereins zur Weiterleitung an die Regierung des Schwarzwaldkreise.s in Reutlingen zugesandt und dort im Prinzip auch genehmigt. Eine Einladung der Bürger zur Beteiligung ist jedoch erfolglos. 1863 wird ein neuer Versuch gemacht, und Schultheiß Hiller schreibt dazu all das Pfarrhaus: "Die gegenwärtige günstige Zeit durfte geeignet sein, die Sache zu erneuern und den Versuch zu machen, ob es jetzt bei den günstigen Verhältnissen nicht möglich wäre, das was schon 1857 beabsichtigt worden ist, durchzuführen." FS ist aber auch diesmal noch nicht möglich.

In den sechziger Jahren bitten besonders viele Bürger den Gemeinderat um ein Zeugnis, mit dem sie beim Oberamt in Horb einen - wie wir heute sagen würden - Wandergewerbeschein beantragen wollen. Der Mangel an gewerblichen Arbeitsplätzen am Ort und in der Nähe zwingt immer mehr Einwohner Lützenhardts dazu, als Hausierer auf' die Reise zu gehen, um nicht nur Bürsten, sondern auch im Wald gesammelte Heidelbeeren, Himbeeren oder Wacholderbeeren, Gewürze, Körbe, Regenschirme und dergleichen zu verkaufen, Sägen zu feilen oder Kessel zu flicken. Das Zeugnis lautet dann beispielsweise so:

"Dem Gesuche wird hiermit zu bezeugen beschlossen

1. dass pp Wittich im allgemeinen ein ziemlich gutes Prädikat besitzt,

2. dass er kein Bettler sei und die Bettelei von ihm nicht zu erwarten stehe und

3. dass seinem Gesuche von hier aus mit Wissen kein Hindernis im Wege stehe."

Aber nicht immer läuft das so glatt. In einem andern Fall muss der Gemeinderat über
Vorstrafen berichten und hinzufügen: so dass bei diesem Bittsteller nicht gesagt
werden kann, dass er einen Hausiererausweis zum Betteln nicht mißbrauche, obwohl er
wegen Bettelei noch nicht vorbestraft worden ist."

Landwirtschaft

Allmählich stellt es sich wohl heraus, dass das Bürstenmachen und der Hausierhandel für diejenigen, die zu wenig Land haben, um davon leben zu können, noch unter den gegebenen Umständen die günstigste Existenzgrundlage ist. Im Oberamtsbezirk Horb gibt es um 1865 laut Oberamtsbeschreibung 49 Bürstenbinder mit 22 Gehilfen sowie 16 Korbmacher mit 3 Gehilfen. Man wird wohl annehmen müssen, dass die genannten Bürstenbinder diejenigen von Lützenhardt sind. Familien, die ausschließlich von der Landwirtschaft leben, gibt es zu dieser Zeit schon nicht mehr in Lützenhardt, Landwirtschaft wird allenfalls in ganz bescheidenem Ausmaß nebenher betrieben. Diesen Nebenerwerbslandwirten sagt die Oberamtsbeschreibung jedoch nach, dass sie "fleißig und betriebsam sind, so dass die im ganzen unbedeutende Landwirtschaft, so weit es die Verhältnisse erlauben, gut betrieben wird und dass die Felder teils von auswärtigen Fuhrleuten gepflügt, teils mit der Hacke bearbeitet werden. Gesät wird vor allem Dinkel, Gerste, Hafer und Weizen, außerdem werden Kartoffeln, Futterkräuter, Kraut Lind Kohlrabi angebaut, aber alles nur für den eigenen Bedarf, nicht für den Verkauf'. Obst gibt es wegen des rauhen Klimas so gut wie gar nicht. "Der Rindviehbestand ist gering, nur ganz wenige Bürger ziehen Jungvieh nach. Schweine werden nicht aufgezogen, allenfalls werden Ferkel gekauft und für den eigenen Bedarf gemästet, Ziegen werden der Milch wegen gehalten. Nur Geflügel, vor allem Enten und Gänse, wird in ziemlicher Menge aufgezogen und in der Nachbarschaft verkauft."


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